Pressebild Gregor Beyer

URBANES DISNEYLAND

Das nachfolgende Interview ist in leicht geänderter Fassung in der Ausgabe 1/2022 in der Fachzeitschrift "Unsere Jagd" erschienen.

Gregor Beyer ist passionierter Jäger und lebt in Eberswalde. Als Geschäftsführer des Forum Natur Brandenburg (FNB) setzt er sich für wirtschaftliche und naturschützende Belange des ländlichen Raumes ein.

UNSERE JAGD: Im August hat die „Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf“ (DBBW) den jährlichen Bericht zur Prävention und Nutztierschäden durch den Wolf veröffentlicht. Wie finden Sie die Informationspolitik der DBBW?

Gregor Beyer: Die Informationspolitik ist miserabel. Wir haben nur aus Zufall mitbekommen, dass ein neuer Bericht veröffentlicht wurde, weil wir regelmäßig auf der Internetseite der DBBW sind. Als wir uns dann mit dem Dokument auseinandergesetzt haben, stellten wir fest, dass die ganze Arbeit eine Kopie von den vorherigen Berichten ist und lediglich die Zahlen ausgetauscht wurden. Obwohl die neuen Zahlen des Wolfsbestands und die Schadzahlen korrelieren und jedes Jahr steigen, wurden die Textteile des recht langen Dokuments überhaupt nicht verändert. Im Text müssten eigentlich Schlussfolgerungen gezogen werden, was die Zahlen für das Verfahren mit dem Wolf bedeuten. Das Schlimme an der ganzen Sache ist aber, dass der fachliche Umgang mit der aktuellen Gesamtsituation fehlt. Ein Bericht ohne jegliche Presseinformation und eine Wolfsrealtität in Deutschland, die aus Informationen keine Schlüsse für das Handeln zieht.

UNSERE JAGD: Was glauben Sie, warum die DBBW so agiert?

Gregor Beyer: Da kann ich nur spekulieren. Entweder ist es Überforderung oder es ist Unwille. Vielleicht auch beides zusammen. Das ist natürlich dramatisch, denn wir brauchen diese Zahlen. Aber man kann nicht einfach jedes Jahr den gleichen Text nehmen, die Zahlen austauschen und so tun, als würde niemand zur Kenntnis nehmen, dass der Wolfsbestand faktisch jährlich um etwa 30 Prozent wächst. Passend dazu korreliert mit 37 Prozent Zuwachs das Schadensgeschehen durch den Wolf. Übrigens gehen damit dann auch die finanziellen Aufwendungen für Präventionen und Schadensausgleich der einzelnen Länder und des Bunds einher. Irgendwann muss man mal zur Kenntnis nehmen, dass wir hier auf eine Katastrophe zulaufen, was die Wolfspopulation und die davon ausgehenden Nutztierschäden betrifft. In anderen Ländern wie in Frankreich und in der Schweiz ist das nicht anders, mit einem Unterschied. In Frankreich werden mittlerweile permanent Wölfe erlegt, obwohl dort deutlich weniger als Deutschland leben. Die Situation in Deutschland ist gänzlich unbefriedigend. Bislang sind im gesamten Land nur vier Wölfe erlegt worden und das nur in Niedersachsen. Wir laufen sehenden Auges auf eine Katastrophe zu und die Realität wird von den Verantwortlichen einfach nicht gesehen. Die Realität, die sich den Weidetierhaltern und auch den Jägern draußen längst stellt.

UNSERE JAGD: Durch Ihre Arbeit beim FN sind Sie gut mit den Landwirten vernetzt. Wie finden die Landwirte in Brandenburg die aktuelle Wolfspolitik?

Gregor Beyer: Mittlerweile sind unsere Landwirte deutschlandweit diejenigen, die am aller meisten unmittelbar vom Wolf betroffen sind. Ich habe gerade heute früh mit einem Kollegen telefoniert, der selbst Weidetierhalter in einem unserer Kernwolfsgebiete im Landkreis Potsdam Mittelmark ist. Das sind Menschen, die jeden einzelnen Morgen mit gemischten Gefühlen raus zu ihren Tieren auf die Weiden fahren, weil der allnächtliche Übergriff mittlerweile schon fast zum Standard geworden ist. Sie erleben permanent, dass alle Versprechen, die man uns macht, dass Schutzzäune zum Beispiel die Lösung wären, nicht helfen. Wobei ich ausdrücklich sage, dass ich kein Gegner von Schutzzäunen bin, das ist eine Komponente im Wolfsmanagement, die auch dazu gehört. Aber die Situation fängt eben an, aus dem Ruder zu laufen, weil wir einfach eine extrem hohe Wolfsdichte haben. Und das Allerschlimmste ist, dass der Wolf überhaupt keine Scheu vor uns hat, da er bei uns nicht bejagt wird. Das haben wir übrigens immer vorausgesagt. Die Scheu kommt nur von der Bejagung, wie bei fast allen anderen Wildarten auch. Mein Eindruck ist, dass die Weidetierhalter an einem Limit angekommen sind. Viele geben auf, ziehen sich in die innere Resignation zurück und bei anderen fängt es langsam an, bedrohlich hochzukochen. Und das kann nicht der Sinn unserer Wolfpolitik sein.

UNSERE JAGD: Was muss passieren? Was wünschen sich die Landwirte?

Gregor Beyer: Das Allererste wäre, dass die Gesellschaft endlich anfängt zu erkennen, dass wir einen vernünftigen Umgang mit dem Wolf finden müssen. Wir sagen nicht, dass der Wolf weg muss – er gehört wie das Rotwild auch hier her. Wir müssen aber in das aktive Bestandsmanagement einsteigen und letztlich einen Akzeptanzbestand festlegen und eine Entnahmequote definieren. Wir haben das für Brandenburg auf der Basis des gegenwärtigen Wolfsbestands ausgerechnet. Wir müssten, um den aktuellen Bestand zu ehalten, ohne ihn zu reduzieren, jedes Jahr rund 74 Wölfe schießen. Das ist mittlerweile die absolute Grundvoraussetzung, wenn wir die Akzeptanz der Wölfe aus den ländlichen Räumen erhalten wollen.

UNSERE JAGD: Im Landkreis Emsland (Niedersachsen) wurde vor Kurzem beschlossen, Wölfe mit Gummigeschossen zu vergrämen. Was halten Sie von der Methode?

Gregor Beyer: Eine Kollegin einer schwedischen Naturschutzbehörde hat dazu kürzlich mal gesagt: „Wenn Sie so nah an einen ausgewachsenen Wolf rankommen, dass Sie mit einem Gummigeschoss schießen können, dann sollten Sie die Waffe besser mit was Anständigen geladen haben.“ In speziellen Einzelfällen, beispielsweise im Wohnumfeld aus Sicherheitsgründen, mag das vielleicht eine Lösung sein. Mit nachhaltigem Wolfsmanagement hat das aber nichts zu tun. Bejagte Wölfe sind in aller Regen scheu, Gummigeschosse erübrigen sich dann.

UNSERE JAGD: Das effektive Wolfsmanagement findet also nur durch den geregelten Abschuss statt?

Gregor Beyer: Natürlich. Das was momentan rechtlich möglich ist, aber bislang nur in homöopathischen Dosen in Niedersachsen vollzogen wurde, hat ja nichts mit Bestandsmanagement zu tun. Das ist ein reines „Reaktionsmanagement“. Das ist das Eingreifen bei konkreter, dramatischer Situation, bspw. Schäden an Weidetieren. In Brandenburg wurde das aber noch nie angewandt. Was wir dringend brauchen, ist die klare Festlegung der Anzahl von Wölfen für das Land, nennen wir es einen Akzeptanzbestand, der am Ende des Tages aktiv zu managen ist. Und das kann nur unter dem Jagdrecht geschehen, weil niemand anderes als die Jäger den Wolf aktiv managen können. Die Bewaffnung der Bauern wie in Frankreich ist übrigens keine Alternative, das führt zu nichts und so funktioniert unser Jagdsystem auch nicht. Wir müssen letzten Endes zu einem geregelten und aktiven Management der Wolfbestände kommen; alles andere sind Träume aus dem 13 ten Stock im naturentrückten urbanen Disneyland.

UNSERE JAGD: In Niedersachsen soll eine realistische Ober- und Untergrenze der Wolfsbestände definiert werden. Wie stehen Sie dazu?

Gregor Beyer: Das ist genau der Weg, den wir auch gerade konzipieren. Im Handlungsvorschlag des AFN sind diese Möglichkeiten auch zum ersten Mal aufgezeigt. Wir arbeiten momentan an der dritten Auflage, in der wir den Akzeptanzbestand definieren wollen. Dieser Akzeptanzbestand ergibt sich aus einer Ober- und Untergrenze. Der Mittelwert bildet die Entnahmequote, die wir dann nach den entsprechenden Bestandsmodellen realisieren muss. Es gibt dazu keine Alternative, wir müssen endlich den Mut haben konkret zu werden. Der Wolf muss ein Doppelrechtler werden – er muss weiterhin unter dem Naturschutzrecht betrachtet und zusätzlich unter dem Jagdrecht reguliert werden.

UNSERE JAGD: Was wären die nächsten realistischen Schritte?

Gregor Beyer: Die Politik muss auf den unterschiedlichen föderalen Ebenen erkennen, dass wir gesetzliche Grundlagen so ändern müssen, dass ein aktives Bestandsmanagement möglich wird. Das betrifft sowohl den Bund, weil dieser die Gesetzgebungskompetenz für das Naturschutzgesetz hat, als auch die Länder, da diese nach deutscher Verfassungsgrundlage die Vollzugskompetenz haben. Das heißt, wir dürfen nicht mehr nur reagieren, sondern wir müssen auch in der Profilaxe agieren können. Dazu müssen wir die Gesetze ändern. Es geht nicht auf Basis der momentanen bestehenden Gesetzeslage, deshalb muss der §45a im BNatSchG erneut angegangen werden. Und dann müssen wir in den Ländern die Wolfsverordnung anpassen. Das BNatSchG beinhaltet eine Verordnungsermächtigung für die einzelnen Länder, die müssen wir praktikabel machen. Und dann kommt die größte Aufgabe: Es muss einen gesellschaftlichen Dialog auch mit den Umweltverbänden geben. Wir müssen endlich die Frage beantworten: Wie viele Wölfe dürfen es für jedes Bundesland sein? Wenn wir das beantwortet haben, dann ist alles ganz einfach – der Wolf muss dann nur noch ins Jagdrecht und dann habe ich großes Vertrauen zu unseren Jägern.

DOWNLOAD: Unsere Jagd, Interview mit Gregor Beyer, 01/2022