Der Mief der alten Bundesrepublik kommt aus den Ritzen der Vergangenheit gekrochen!
Nicht nur, weil es mit dem Fortschreiten der Jahre um den eigenen Geburtstag herum sowieso ein vermehrt zu beobachtendes Phänomen ist, sondern vor allem weil die politische Lage über viele Aspekte hinweg allzu umfänglich Anlass bietet, verführen mich meine Gedanken dieser Tage gelegentlich zurück in die Jugend. Um es gleich vorwegzunehmen, es war eine wohlbehütete Jugend im gesicherten Wohlstand eines wahrhaft freien Landes, eigentlich gänzlich sorgenfrei und im Rückblick lediglich belastet mit der Frage, womit es meine Generation eigentlich verdient hat, die Generation der wahrhaft 68er, weil 68 geboren, dass sie gemessen an allem, was jemals vorher war, so gänzlich sorgenlos aufwachsen durfte. Aber soweit altersseitig entrückt ist man dann doch noch nicht, dass man verdrängt hätte, dass auch diese alte Bundesrepublik kein Hort der Glückseligkeit war. Wir hatten keine Revolutionen zu fechten und das Maximum an zu bestehendem Widerstand im jugendlichen Sturm und Drang war der mit dem Gang zum Amtsgericht zelebrierte Kirchenaustritt; gleichwohl im gut katholischen Rheinland-Pfalz nicht ohne!
Nein, es waren die politischen Auseinandersetzungen in einer Zeit, als der spätere Altbundeskanzler den Gang in die allgegenwärtige „Mitte“ noch nicht vollzogen hatte und es auch noch ein rechtes – laut vernehmliches – Lager in der Politik gab. Dieses Lager fing an bei den kurz vor dem Ruhestand stehenden Schulrektoren, die im Lateinunterricht gelegentlich ins Schwärmen kamen, um von Heldentaten in Einheiten zu berichteten, deren Namen zu nennen man heute nicht mehr wagen würde, und zog sich fort bis in die hohe Politik, in der ein nationalkonservativer Flügel einer regierungsbildenden Partei eine real existierende Tatsache war. So waren beispielsweise „Terroristen-Jagdkommandos“, die freigestellt von bürokratischen Einwirkungen arbeiten sollten, eine real diskutierte Forderung aus dem politischen Raum. Oder wer erinnert sich noch, dass es einen Minister in Bayern gab, der es ernsthaft ins Spiel brachte, das Bundesseuchengesetz, incl. sogenannter Absonderungsmaßnahmen, auf AIDS-Kranke anzuwenden.
Ach ja, aus aktuellem Anlass! Ich erinnere mich sehr wohl, dass das „Happy Birthday“ für einen Klassenkameraden nicht unbedingt selbstverständlich war. Hatte man einen 68er als Lehrer, Ok! Aber andere verstanden sich durchaus als Hüter deutscher Sprache.
Ich hatte viele von diesen Jugenderinnerungen verdrängt. Nicht zuletzt das aktive, gesellschaftliche wie familiäre Erleben des Zusammenwachsens von Ost und West erweckte in mir den Eindruck einer gefestigten Nation, die sich von den Schleiern der Vergangenheit durch beidseitiges Lernen zu lösen schien und die gemeinsam moderner wurde. Was wir jedoch dieser Tage im Wahlkampf und auf Podiumsdiskussionen erleben, ist ein geradezu beängstigendes Ausmaß an rückwärtsgerichtetem Populismus. Was wir gleichzeitig aus von „Anonymous Austria“ veröffentlichen Papieren erfahren, führt mich zurück in die Vergangenheit und lässt Erinnerungen wach werden, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Und dass der Bazillus in aktuellen Debatten gar anfängt, auf andere überzuspringen, lässt einen in der Nacht schlaflos wachen.
Nein, ich will die AfD bewusst nicht in die rechte Ecke stellen. Dieser Ansatz ist zu kurz gesprungen und letztlich auch eine Verharmlosung. Was da erwächst, ist die nebelhafte Rückkehr von momentan noch populistisch getarnten Thesen rechtskonservativer Eiferer. Es scheint mir, als könne es sich am Ende als ein Treppenwitz der Geschichte erweisen, dass der Mief der alten Bundesrepublik ausgerechnet über die Landesparlamente der neuen Bundesländer zurückzukehren droht.
Die AfD ist für Liberale auch daher ein Gegner, weil sie für alles steht, was wir in der alten Bundesrepublik zusammen mit anderen, mit Sozialdemokraten, Grünen und auch der Union, an rechtskonservativem Irrsinn niedergekämpft haben. Wir sind nicht bereit, das Feld zu räumen! Wir haben gemeinsam ein weltoffenes Land geschaffen und haben die Toleranz zum Maßstab der Politik erklärt. In einem anderen Brandenburg will ich nicht leben!